Obere Bernstrasse

Unterwegs Richtung 2000-Watt-Gesellschaft

Ein Haufen Rückbaumaterial anstatt des «Bärenhauses» – die obere Bernstrasse Ende Oktober.

Nachhaltigkeit ist ein Handlungsprinzip – in jedem unserer Lebensbereiche. An der oberen Bernstrasse wird für eine Gesellschaft gebaut, die nach diesem Prinzip leben möchte.

Der Rückbau der alten Gebäude an der oberen Bernstrasse ist abgeschlossen. Für die neue Siedlung laufen aktuell die Vergaben der Arbeiten und der Aushub. Beim Rückbau wurden Materialien wie Holz, Beton oder Ziegel sorgfältig voneinander getrennt, um daraus wenn möglich wieder Recyclingbaustoffe aufbereiten zu können. In den letzten Jahren wurden auf verschiedenen Ebenen neue Energiegesetze und -strategien verabschiedet. Die Bau- und Zonenordnung der Stadt Luzern fordert beispielsweise für die Neubausiedlung an der oberen Bernstrasse einen erhöhten Gebäudestandard. Deshalb wird dort nun für die Zielwerte der 2000-Watt-Gesellschaft (siehe Box) gebaut. Die 2000-Watt-Gesellschaft umfasst eine ganze Lebensphilosophie und verfolgt Massnahmen in drei Handlungsfeldern: Energieeffizienz, erneuerbare Energien und Suffizienz/Genügsamkeit. 

Das Werkzeug für nachhaltiges Bauen
Um ein Angebot zu schaffen, in dem nach dieser Lebensphilosophie gewohnt und gelebt werden kann, hilft das Planungswerkzeug «SIA-Effizienzpfad Energie» des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA). Der SIA-Effizienzpfad Energie legt für Einzelgebäude Massnahmen und Zielwerte fest und überprüft anschliessend, ob sie eingehalten werden. Er unterteilt dabei in drei Bereiche: Erstellung, Mobilität und Betrieb. Beim Planen und Bauen der Gebäude müssen also bestimmte Zielwerte eingehalten werden.  Die Gebäude nach SIA-Effizienzpfad Energie sind ressourcenschonend und CO2-arm erstellt, werden durch eine CO2-arme, effiziente Haustechnik und Beleuchtung betrieben und stehen an einem nachhaltigen Standort, der einem nach Möglichkeit darauf verzichten lässt, ein Auto zu besitzen, oder über eine ÖV-Anbindung verfügt. Im Privatbereich tragen die Bewohnerinnen und Bewohner mit dem entsprechenden Konsum- und Freizeitverhalten dazu bei, das Ziel der 2000-Watt-Gesellschaft zu erreichen. In der Region Luzern ist die Überbauung an der oberen Bernstrasse eine der Ersten, die nach dem SIA-Effizienzpfad Energie umgesetzt werden. 

Von Grund auf neu: An der oberen Bernstrasse wird für die 2000-Watt-Gesellschaft gebaut. 

Die Energieingenieure von Brücker+Ernst berechneten den Energiebedarf für die drei Bereiche Erstellung, Mobilität und Betrieb und leiteten entsprechende Optimierungen in die Wege, damit die Zielwerte, die im SIA-Effizienzpfad definiert sind, erfüllt werden können. Sie lieferten die Energie-Nachweise zur Baueingabe und sichern nun die Qualität bei der Umsetzung während des Bauens. Die Energieingenieure führen bei grösseren Änderungen Berechnungen nach, prüfen, dass die Bauherrin die Werte einhält und beispielsweise die erforderliche Fläche der Photovoltaik-Anlage umsetzt. Nach der Realisierung werden all diese Dokumente der Stadt Luzern als Nachweis übergeben. 

Fernwärme, Photovoltaik, Car-Sharing
Welche Massnahmen also sind beim Neubau an der Bernstrasse nachhaltig und ausschlaggebend? Die gut gedämmte Gebäudehülle reduziert den Heizwärmebedarf der gesamten Siedlung. Das Projekt obere Bernstrasse schliesst im Bereich «Erstellung» nach SIA-Effizienzpfad zwar genügend, jedoch nicht mustergültig ab. Aber auch hier konnten Verbesserungen erzielt werden, indem etwa Deckenstärken reduziert und weniger Baumaterialien verwendet wurden oder ressourcenschonendere Materialien bei der Dämmung gewählt wurden, um graue Energie und Treibhausgasemissionen zu reduzieren.Dafür schliesst die Siedlung in den Bereichen «Betrieb» und «Mobilität» besser ab. Im Betrieb sind der Anschluss an die Fernwärme von ewl und der ökologische Strombezug ausschlaggebend. Die ewl-Fernwärme nutzt bereits bestehende Abwärme zur Aufbereitung von Warmwasser und für die Heizung. Diese wird von der Swiss Steel AG in Emmen und der Kehrichtverbrennungsanlage Renergia in Perlen produziert, in Wasser gebunden und über ein Leitungssystem zur Siedlung geführt. Ausserdem wird ein möglichst grosser Teil der auf dem Areal verwendeten Elektrizität vor Ort aus Sonnenlicht produziert: Auf den Dächern der Siedlung über die Photovoltaik-Anlage.  Im Bereich «Mobilität» spielt die

Die 2000-Watt-Gesellschaft

Der Faktor Mensch spielt in der 2000-Watt-Gesellschaft eine ganz entscheidende Rolle. Wie viel Wohnraum beanspruche ich für mich? Achte ich bei meinem Einkauf auf Saisonprodukte? Wie fahre ich zur Arbeit und wohin in die Ferien? Jede zukünftige Bewohnerin, jeder zukünftige Bewohner der Bernstrasse kann mit seinem Verhalten und seinen Konsumentscheidungen dazu beitragen, dass die Zielwerte, für welche die Siedlung gebaut wird, erreicht werden können. 

Das Konzept der 2000-Watt-Gesellschaft beinhaltet eine doppelte Zielsetzung: Den Energieverbrauch auf maximal 2‘000 Watt Dauerleistung pro Person am Tag und auf eine Tonne CO2-Emissionen pro Kopf und Jahr zu reduzieren. 

Um das Ziel der 2000-Watt-Gesellschaft zu erreichen, braucht es Massnahmen in den drei Handlungsfeldern Effizienz, erneuerbare Energie und Suffizienz. Energieeffizienz heisst, dasselbe tun mit weniger Energie. Beispiele für Energieeffizienz sind isolierte Häuser, LED-Lampen und A+++-Klassen-Kühlschränke. Erneuerbare Energieträger sind langfristig verfügbar und verursachen weniger Treibhausgase. Etwa Sonnen-, Wasser-, Holz- und Windenergie, aber auch die Rückgewinnung von Wärme aus Abwasser oder industriellen Prozessen. Suffizienz heisst, den eigenen Lebensstil
zu überdenken und sich bewusst für Tätigkeiten und Produkte zu entscheiden, die weniger Energie beanspruchen. Etwa zum Einkaufen das Velo statt das Auto zu verwenden. 

Weitere Infos 2000watt.stadtluzern.ch.

Bushaltestelle Kanonenstrasse eine wichtige Rolle. Sie liegt direkt vor der Haustür. Der Bereich bewertet unter anderem, wie nah die Liegenschaft zur nächsten Einkaufsmöglichkeit oder Bushaltestelle liegt. Wie kann es aber sein, dass eine Siedlung für die 2000-Watt-Gesellschaft eine Tiefgarage enthält? Bei der Tiefgarage sind nicht unbedingt die Parkplätze für den ökologischen Fussabdruck ausschlaggebend, sondern viel mehr die Erstellung (Aushub, Beton, Gussasphalt usw.). «Das ist halt auch die Realität, dass nicht jeder aufs Auto verzichten kann oder will und es noch immer ein Teil unserer Gesellschaft ist», sagt Patrick Ernst, Energieingenieur, Mitinhaber und Geschäftsführer von Brücker+Ernst. Trotzdem wurden die Parkplätze pro abl-Wohnung reduziert. Damit nicht jede Bewohnerin oder Bewohner sein eigenes Auto in der Tiefgarage parkiert, wird Car-Sharing angeboten. Auch dieses fliesst in die Berechnung des SIA-Effizienzpfades ein und wird dem gesamten Quartier zur Verfügung stehen. 

Energieschleuder Gebäudesektor
Der Gebäudebereich spielt eine Schlüsselrolle, wenn es um die Steigerung der Energieeffizienz geht. In der Schweiz wenden Wohnbauten (3/4) sowie Dienstleistungs- und öffentliche Bauten (1/4) rund 45 Prozent der verbrauchten, nicht erneuerbaren «Primärenergie» auf.1 Und er ist für 24 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Die Mehrheit des Verbrauchs setzt sich aus Heizung, Warmwasser und Klimatisierung zusammen, der Rest verteilt sich auf Elektrizität und auf die Herstellung (Bauprozesse und Baumaterialien) sowie den Unterhalt. Nachhaltiges Bauen erzeugt nachhaltig eine Wirkung und hilft, die für das Jahr 2050 gesetzten Klimaziele zu erreichen. 

1 Quelle: Schweizer Energie-Stiftung SES