Aus der Nachbarschaft

Weniger ist mehr

Manuel Mahler und Corinne Küng in ihrer Küche in Luzern. Weil sie ihre Lebensweise verändert haben, produzieren sie deutlich weniger Abfall als zuvor. Ein 17-Liter-Güselsack ist in der Regel erst in zwei bis drei Monaten voll.

Verpackungsarm leben – das haben sich Corinne Küng und ihr Partner Manuel Mahler zum Ziel gesetzt. Was als Experiment begann, wurde zu ihrem Lebensstil. Inzwischen haben die beiden ihre Abfallmenge erfolgreich und nachhaltig um das Sechsfache reduziert.

«Ich bin ein Öko-Freak», sagt die 33-jährige Corinne Küng lachend. Seit einem Jahr hinterlassen sie und ihr Partner möglichst wenig Abfall, oder wie sie es nennen: «Less Waste» (weniger Verschwendung). Corinne sitzt in ihrer Küche in Luzern, in der sich Einmachgläser auf den Küchenschränken aneinanderreihen. Mitunter ­gaben diese vor einem Jahr Anlass zur Veränderung. «Wir hatten festgestellt, dass wir häufig Linsen, Polenta oder Haferflocken in Plastik verpackt einkaufen, zu Hause auspacken, in Einmachgläser abfüllen und sich im Güselsack das Verpackungsmaterial sammelt. Viele Zutaten wären jedoch unverpackt erhältlich.»
Diese Erkenntnis und das Interesse an einem umweltbewussten und nachhaltigen Lebensstil bewog die beiden genau vor einem Jahr dazu, sich einer vier Monate dauernden Herausforderung zu stellen: Von September bis Dezember 2020 durften sie maximal einen 17-Liter-Güselsack mit Abfall füllen.

Kleine Schritte führen zum Ziel
Less Waste ist angelehnt an die Zero-Waste-Philosophie (null Verschwendung). Die Amerikanerin Béa Johnson verhalf ihr mit dem 2013 erschienenen Ratgeber «Zero Waste Home: The Ultimate Guide to Simplifying Your Life by Reducing Your Waste» zu grosser Popularität. Sie inspiriert weltweit Menschen, mit weniger im Leben auszukommen, und geht mit ihrer vier Personen zählenden Familie als Beispiel voran: Der Abfall, den sie gemeinsam in einem ganzen Jahr verursachen, passt in ein einziges Einmachglas.
Bei Zero Waste geht es nicht darum, mehr zu ­recyceln, sondern eben weniger: Nur was nicht vermieden werden kann, wird recycelt. Insgesamt soll möglichst wenig Abfall produziert und keine Rohstoffe vergeudet werden. Erreicht wird das durch Konsumverweigerung, Abfallvermeidung, Reparaturen, Wiederverwendung, Kompostierung und Recycling.
Corinne und Manuel haben für sich festgestellt, dass der Begriff «Zero Waste» abschreckend wirken kann: «Er suggeriert, dass man gar keinen Abfall mehr ­haben darf, das kann lähmen.» Anstatt sich entmutigen zu lassen, wählten die beiden den Less-Waste-Weg. «Es ist motivierender, schrittweise zu schauen, wo Abfall eingespart werden kann.» Denn weniger Abfall gehe immer, meint Corinne.

Unterdessen können etliche Lebensmittel unverpackt gekauft werden. Die vielen Zutaten, die für die vegetarische und vegane Küche zur Verfügung stehen, werden beim Einkaufen in Gläser und Säckchen abgefüllt und so nach Hause transportiert.

Brauche ich das tatsächlich?
Inmitten der Corona-Pandemie fanden Corinne und Manuel mit ihrem Less-Waste-Experiment ein Projekt für sich, das ihnen Freude bereitete, sie aus der Reserve ihres bisherigen bequemen Konsummusters lockte und ein Gefühl von Selbstwirksamkeit auslöste. Sie durchleuchteten und hinterfragten ihr Konsumverhalten. Was brauchen wir wirklich? Wie oft benutze ich etwas? Gibt es die Möglichkeit, das Gewünschte auszuleihen oder gebraucht zu kaufen? Gibt es etwas anderes, das denselben Zweck erfüllt? Und warum kaufe ich diesen Gegenstand überhaupt?
Ab sofort hiess es, auf verpackungsintensive Onlinebestellungen zu verzichten und Dinge stattdessen im lokalen Fachhandel oder secondhand zu besorgen. Insgesamt nahm ihr Konsum ab, und das Bewusstsein für den Überfluss stieg. Schliesslich begannen sie, ihre Wohnung auszumisten, Gegenstände ins Brockenhaus zu bringen und zu verschenken. «Ich bin ziemlich resistent geworden gegen Werbung und Ausverkauf, und mir wurde die Absurdität unseres Konsumsystems, das sich selbst aufrechterhält, nochmals bewusster.»
So nahm das Ziel, Abfall zu reduzieren, eine viel grössere Dimension an, als die beiden ursprünglich vermutet hätten. Ihr Experiment war erfolgreich, und sie haben den Lebensstil aus Überzeugung beibehalten. Heute benötigen Corinne und Manuel rund zwei bis drei Monate, um einen 17-Liter-Güselsack zu füllen. Vor ihrem Experiment füllten sie einen in eineinhalb bis zwei Wochen. Nach der anfänglich zeitintensiven Recherche, wo welche Lebensmittel und Gebrauchsartikel unverpackt erhältlich sind, hat sich bei Corinne und Manuel Routine eingespielt. Spontaneinkäufe sind passé, der Wocheneinkauf wird geplant. Mit den leeren Gläsern und Netzsäckchen erledigen sie jeweils samstagmorgens innerhalb von ungefähr zwei Stunden ihren Einkauf auf dem Markt, im Reformhaus oder im «Quai 4». Unterm Strich brauchen sie weniger Zeit zum Einkaufen als früher, und das eigenhändige Abfüllen der Lebensmittel habe zudem den Bezug dazu gestärkt, sagt Corinne.

Kein Verzicht auf WC-Papier
Der Less-Waste-Lebensstil hat aber auch seine Grenzen. Auf WC-Papier verzichten die beiden beispielsweise nicht. «Das ist für mich eine Grenze, bei der ich fand: Darauf möchte ich nicht verzichten.» Grundsätzlich sei das Badezimmer allerdings ein guter Ort, um mit dem Umdenken anzufangen. Auf Internetforen finden sich zahlreiche Tipps, womit Plastik und Wegwerfartikel ersetzt werden können; etwa waschbare Pads anstatt Wattepads, Zahnputztabletten anstatt Zahnpasta, Waschlappen anstatt Einwegtücher, Bambuszahnbürste anstatt Plastikzahnbürste, feste Seife anstatt Flüssigseife, Stofftaschentücher anstatt Papiertaschentücher, Rasierhobel anstatt Einwegrasierer, Mooncup anstatt Tampons und so weiter.
Es helfe, sich kleine Ziele zu setzen und dort anzufangen, wo es leichtfällt, dann komme auch der Spass, verspricht Corinne. Ihr ist es wichtig, dass das Verhalten nicht zwanghaft wird. Auch in ihrem Umfeld sind die beiden nicht missionierend unterwegs. Den Weg Less Waste gehen sie für sich. Sobald etwas im Alltag verinnerlicht worden ist, kommt das Nächste.

Freier, zufriedener, glücklicher
Obwohl sich Corinne all diese Nachhaltigkeitsgedanken macht, fühlt sie sich davon nicht befangen – im Gegenteil: «Es hat etwas sehr Befreiendes – ich bin bewusster unterwegs und spüre besser, was ich tatsächlich benötige und was nicht.» Die breite Auswahl im Supermarkt bedeutet für sie kein Privileg und keinen Luxus mehr, im Unverpacktladen, wo sie zwischen einigen Pasta-Sorten auswählen kann, ist sie glücklicher. «Und ich bin halt auch ein Fan von Selbermachen, das kommt uns natürlich entgegen.» So haben Corinne und Manuel einen Weg gefunden, sich nicht der Ohnmacht hinzugeben, ihren persönlichen kleinen Beitrag gegen die Klima­krise zu leisten und sich dabei sogar freier und zufriedener zu fühlen, weil alles etwas einfacher ist.
Corinne und Manuels Reise auf dem Weg zu weniger Abfall kann man auf Instagram unter @lesswasteluzern folgen. Auf ihrer Webseite lesswasteluzern.ch bieten sie ausserdem für Private, Firmen und Institutionen Less-Waste-Workshops an.

Tipps von abl-Mitgliedern für weniger Abfall:
— Unverpackt mit Netzsäckli oder Einmach-gläsern einkaufen: Wochenmarkt, Gänterli, Quai-4-Markt, Unfahrpackt-Lieferservice, Migros Schweizerhof
— Stoffsäckchen mitbringen zur Bäckerei
— Grosspackungen bestellen über Foodcoop (Siedlung Himmelrich 3, Industriestrasse), Gebana usw. 
— Dusch-, Spül- und Waschmittel auffüllen lassen, zum Beispiel Luna-Drogerie, Drogerie Gehrig, Textilreinigung AllmendTex usw.
 — Für Essen- oder Coffee-to-go selbst Behälter mitbringen (wenn nicht daheim vorhanden, im Brockenhaus kaufen) 
— Ausleihen statt kaufen: Leihbar Luzern (Gegenstände für Haushalt, Garten, Hobby, Sport, Party usw., leihbar-luzern.ch), Ludo­thek (Spielsachen), Stadtbibliothek oder ­Zentral- und Hochschulbibliothek (Literatur, Reiseführer usw.)
— Karton, Papier, Alu, PET, Glas recyceln und Spezialmüll im Ökihof entsorgen
 — Defekte Geräte, Möbel usw. reparieren: ­Reparaturwerkstatt Tüftelwerk, Jobdach, Fachgeschäfte
— Joghurtgerät zum Joghurtmachen
— Sprudelgerät für Mineralwasser 
— Grössere Transporte mit dem Cargoveloerledigen (carvelo2go.ch) 
— Zu den Dingen Sorge tragen

Auch Upcycling vermeidet Abfall:
— Brot toasten, so schmeckt es auch nach fünf Tagen noch superfein
— Makulatur-Papier (bereits gebrauchtesPapier) verwenden
— Ungebrauchtes ins Brockenhaus bringen oder auf Ricardo oder Tutti verkaufen 
— Alte Textilien als Putzlappen verwenden
— Alte Zahnbürste für die Reinigung der ­Velokette verwenden