Aus der Nachbarschaft
Notschlafstelle: Ein neues Zuhause am Neuweg
Am Neuweg 3 in Luzern führt der Verein Jobdach seine Notschlafstelle und das betreute Wohnen erstmals unter einem Dach zusammen. Der neue Standort bringt auch neue Nachbarschaften – und damit Fragen, Ängste und die Chance auf ein positives Miteinander.

Wir treffen Annamarie Käch und Bernhard Kobler auf dem Korridor der neuen Notschlafstelle in der Luzerner Neustadt. Noch sind die Geschäftsführerin des Vereins Jobdach und der Präsident der Gemeinnützigen Stiftung für preisgünstigen Wohnraum Luzern (GSW) allein in den Räumen – doch schon bald sollen hier Menschen in schwierigen Lebenslagen ein Obdach finden.
Über zehn Jahre haben Käch, Kobler und ihre Institutionen auf diesen Moment hingearbeitet. Jetzt steht der Abschluss des Projekts bevor. Bis zur Eröffnung bleibt noch einiges zu tun: Kabel ziehen, Zimmer einrichten, Technik feinjustieren. Im Gespräch wird klar, wie viel ihnen dieser Ort bedeutet – und wie zentral die Nachbarschaft für Vorhaben ist.

Zwei Angebote unter einem Dach
Die bisherige Notschlafstelle an der Gibraltarstrasse wurde seit 1996 vom Verein Jobdach betrieben – und war baulich, hygienisch und sicherheitstechnisch längst ungenügend. «Das hat sich besonders während der Pandemie gezeigt», sagt Annamarie Käch. «Es fehlte an Rückzugsmöglichkeiten und klaren Strukturen – das Konfliktpotenzial war hoch.» Auch das betreute Wohnen an der Murbacherstrasse – ein Angebot für suchtkranke und psychisch erkrankte Menschen, die nicht selbstständig wohnen können – war in die Jahre gekommen.
Am Neuweg 3 sind beide Angebote nun unter einem Dach vereint: In den unteren drei Stockwerken befindet sich die neue Notschlafstelle mit 18 Schlafplätzen – inklusive Frauenzimmer, Krankenzimmer sowie 22 Studios für betreutes Wohnen. «Die Nähe erlaubt eine engere Verzahnung von kurzfristiger Hilfe und langfristiger Perspektive», sagt Käch. Die zentrale Lage mitten in der Neustadt sei dabei entscheidend: «Unsere Klientinnen und Klienten sind zu Fuss unterwegs – sie brauchen kurze Wege, etwa zur Gassenküche oder zur Spitex.»
Neue Anforderungen an die Sicherheit
Gleichzeitig aber bringt der neue Standort neue Anforderungen mit sich – insbesondere im Bereich Sicherheit. «Die Notschlafstelle sieht sich zunehmend mit komplexen Lebenslagen und verändertem Konsumverhalten konfrontiert – da braucht es ein tragfähiges Sicherheitskonzept», betont Käch. «Sicherheit für die Menschen, die hier Schutz suchen, für unsere Mitarbeitenden – und für die Nachbarschaft.»
Wichtiger Teil des Konzepts ist der neue Empfang der Notschlafstelle. Dieser ist rund um die Uhr besetzt – 365 Tage im Jahr. «Wir arbeiten im Zwei-Personen-System. Niemand ist hier allein, falls etwas passieren sollte», erklärt Käch. Das Team besteht aus Sozialarbeitenden sowie Sozialpädagog*innen, die speziell geschult sind im Umgang mit suchtkranken oder psychisch belasteten Menschen.
Zwischen Sorgen und Missverständnissen
«Grundsätzlich finden alle, dass es eine Notschlafstelle braucht», sagt Bernhard Kobler, Präsident der GSW Luzern, der die Liegenschaft am Neuweg gehört. «Aber sobald klar wird, dass sie ins eigene Quartier kommt, gibt es plötzlich viele Gründe dagegen.» Er sagt das nicht als Vorwurf, sondern zeigt Verständnis für diese «nachvollziehbare Reaktion».
Entsprechend konkret waren die geäusserten Ängste: Personenbewegungen rund ums Haus, Gruppenbildungen, herumliegende Spritzen, Drogenhandel, Lärm in der Nacht. «Es gab Einsprachen und Widerstand», sagt Kobler rückblickend. «Umso wichtiger war es uns, früh das Gespräch mit den Anwohnenden und allen Interessengruppen zu suchen. Teilweise hatten die Leute schlicht falsche Vorstellungen davon, was in diesem Gebäude geschieht.»
Begleitgruppe mit abl-Vertretung
Indem Abläufe und interne Sicherheitsmassnahmen erklärt wurden, konnten manche dieser Bedenken abgebaut werden. «Trotzdem braucht es zusätzliche konkrete Massnahmen», sagt Kobler. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Begleitgruppe zur Sicherheit im Aussenraum, die von der Stadt Luzern geleitet wird. Mit dabei sind unter anderem Sicherheitsmanager Christian Wandeler, die Polizei, der Quartierverein, Drogensachverständige – und Vertreterinnen und Vertreter der Nachbarschaft.
«Unser Gebäude grenzt direkt an Liegenschaften der abl», sagt Kobler. «Darum ist es für uns wichtig, dass auch die abl in der Begleitgruppe vertreten ist. Sie erhalten so Informationen aus erster Hand – und können gleichzeitig ihre Erfahrungen einbringen.» Im Rahmen eines Echoraums können Beobachtungen und Verbesserungsvorschläge aufgenommen werden. «Und sollte es zu Vorfällen kommen, kann die Begleitgruppe gemeinsam mit dem Verein Jobdach nötige Interventionen schnell in die Wege leiten», so Kobler.
Chance für die Stadt und das Quartier
In den nächsten Wochen wird der Neuweg 3 bezogen. Für den Verein Jobdach beginnt damit ein neues Kapitel – mit besseren räumlichen Bedingungen und einem hohen Anspruch an Betreuung, Sicherheit und Zusammenarbeit. «Was wir hier anbieten, ist keine Luxuslösung», sagt Annamarie Käch. «Aber es ist eine stabile, menschenwürdige Infrastruktur, die funktioniert.» Entscheidend sei jedoch nicht das Gebäude, sondern der Umgang miteinander – mit den Menschen, die hier Schutz suchen, mit der Nachbarschaft, mit der Stadt.
Die Geschäftsleiterin des Vereins Jobdach ist überzeugt: Gute Nachbarschaft ist möglich – wenn man sich auf Augenhöhe begegnet, zuhört und Ängste ernst nimmt. «Wenn wir einander zuhören statt ausgrenzen, kann dieser Ort für das Quartier sogar ein Gewinn sein.»
