Aus der Nachbarschaft

«Man darf halt nicht grad davonlaufen»

Marie und Emil Althauser sind älter als die abl und seit 77 Jahren verheiratet. Sie ­leben noch immer selbstständig in der Siedlung Studhalden.

Emil und Marie Althauser blicken fürs abl-magazin zurück auf ihr Leben. Auf dem Bild ihr inzwischen 77-jähriges Hochzeitsfoto.

Wie ist es wohl, 77 Jahre verheiratet zu sein? 42-mal in derselben Wohnung Weihnachten zu feiern? Seinen 100. Geburtstag zu erleben? Vielleicht ein bisschen so, als wenn mehrere Leben zu einem einzigen verschmelzen würden. 
Seine Kindheit verbrachte Emil Althauser in Littau, Marie in Rheinfelden, in unmittelbarer Nähe zur deutschen Grenze. Später zog ihre Familie auf die andere Seite nach Deutschland, wo indessen auch «Baseldytsch» gesprochen wurde, erzählt Marie Althauser. Deshalb habe auch niemand bemerkt, dass sie aus Deutschland komme, als sie mit Mitte zwanzig – kurz nach dem Krieg – ihren Emil heiratete. Den zweiten Teil ihres gemeinsamen Lebens, immerhin 36 Jahre, verbrachte das Ehepaar in Basel. Er arbeitete als Schlosser, sie kümmerte sich um den Haushalt. Als Emil Althauser vor 43 Jahren pensioniert wurde, bezogen sie gemeinsam die abl-Wohnung in seiner Heimat Luzern. 

Blick auf ein zufriedenes Leben 
Hier in der Siedlung Studhalden, hoch über Strasse und See, ist es ruhig an diesem Vormittag im Frühling. Die Bäume sind noch kahl, bilden aber erste Knospen. Nur wenige Menschen haben den Frühling mehr als hundertmal kommen und gehen sehen, Althausers zählen beide dazu. Marie wurde im Januar 101-jährig, Emil im Dezember 102. Und nicht nur das: Am 4. März 2024 feierten sie gemeinsam mit ihrer Familie 77 Jahre Ehe.

Die Lebenserfahrungen des Ehepaars in Worte zu fassen, ist gar nicht so einfach. «Wir sind zufrieden», sagt Marie Althauser mehrmals, «wir hatten Glück.» Natürlich habe es auch mal Streit gegeben – aber man dürfe halt nicht grad davonlaufen. Das ist im Prinzip das Fazit, das das Ehepaar über diese vielen Jahre des Zusammenseins zieht. Könnten die Wände sprechen, würden sie wohl von so mancher Episode dieser Beziehung erzählen. Doch vieles verliert angesichts eines ganzen Lebens auch wieder an Gewicht. 

Zwischen TV-Sport und Küche 
Der Alltag des Ehepaares hat sich auf die direkte Umgebung reduziert. Emil Althauser schläft viel und schaut Sportsendungen im Fernsehen, vor allem Fussball. Für den FCL drücke er ebenso die Daumen wie für den FCB, aber eigentlich sei ja der deutsche Fussball noch etwas interessanter, da fiebert er für Bayern München. Marie Althauser steht zeitig auf, kauft ein, beginnt früh zu kochen und hält die Wohnung in Schuss. «Ich koche jeden Tag frisch», sagt sie nicht ohne Stolz. An diesem Tag gibts Kartoffeln, Spinat und Spiegeleier. «Kein Fleisch?», fragt er, neben ihr sitzend. «Nein, kein Fleisch», antwortet sie lachend. 
Ihr Austausch ist vertraut und ohne Schein. Die andere Person kennt einen längst besser als man sich selbst. Manchmal, wenn beide gleichzeitig erzählen, kneift er sie in die Seite und sie sagt: «Hey, du weisst doch, dass mich das an der operierten Schulter schmerzt.» 

«Sie war wunderschön» 
Als sie vom Beginn ihrer Beziehung erzählen, leuchten seine Augen. «Sie war wunderschön», erinnert sich Emil Althauser, als er auf der Baustelle ihres Vaters erstmals die junge Marie sah. Die Fotos an den Wänden bestätigen seine Aussage. Immer wieder erwähnen die beiden gute Freundschaften und die erweiterte Familie als wichtige Pfeiler in ihrem Leben. Obwohl oder vielleicht gerade weil ihnen keine eigenen Kinder vergönnt waren, haben Althausers tragfähige Beziehungen zu ihren Nichten und Neffen.

In die Ferien gingen sie oft mit einem befreundeten Paar nach Frankreich, Deutschland oder Österreich. Nach der Pensionierung tauschte er den Führerschein mit einem Generalabonnement, und so erkundeten Althausers zusammen die Schweiz. Auch an ihr Chalet in Grindelwald haben sie sehr gute Erinnerungen.  

Unterstützung vom Umfeld  
Emil Althauser fällt unterdessen das Gehen schwer. Eine Nichte begleitet ihn, wenn er zum Coiffeur oder zum Arzt muss. Und Marie wurde auch schon von einer Nachbarin aufgeholfen, als sie vor dem Haus stürzte. Eine Nichte macht zudem die Wäsche, während eine Putzfrau die Wohnung sauber hält. 
Wie lange sie ihre Tage noch so selbstbestimmt ausfüllen können, weiss niemand. Deshalb feiern ­Marie und Emil Althauser ihre gemeinsamen Meilensteine ganz bewusst. Auf die 77 Jahre dauernde Ehe stiessen sie mit über einem Dutzend Verwandten im «Felmis» in Horw an. Auf dem Fenstersims steht eine Reihe Blumentöpfe in Erinnerung an diesen Tag. Die blühenden Pflanzen sorgen für Farbtupfer in der Stube.